Eisige Kälte und heisse Themen in Leipzig

Alle zwei Jahre findet in Leipzig der grösste Tierärztekongress im deutschsprachigen Raum statt – so auch dieses Jahr. Mit der freundlichen Unterstützung durch die Firma Graeub durfte ich dieses Jahr eine von fast 7000 Tierärztinnen und Tierärzten sein, die sich trotz eisiger Kälte und schwierigen Reisebedingungen auf den Weg nach Leipzig machten. Es erwarteten mich dort vom 18.-20. Januar drei Tage lang hochkarätige Vorträge, spannende Fachdiskussionen mit Kolleginnen und Kollegen und eine riesige Produktpräsentation an der Fachausstellung. Über 300 Aussteller zeigten in der grossen Messehalle ihre neusten Produkte, Trends und Ideen für alles, was das Tierärzteherz begehren könnte. Das Angebot reichte von der mobilen Praxiseinrichtung über neuartige Verbandsmaterialien, spezielle Futter und Zusätze, Labor- und Röntgengeräte bis hin zu Praxissoftware und Tiergesundheitsdiensten. Die 500 geladenen Referierenden reisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch aus England, Brasilien und Dänemark an.

Da die Zusammenfassung aller Vorträge den Rahmen hier sprengen würde, gehe ich auf zwei für die tägliche Arbeit von RGS relevante Beiträge näher ein.

Zum einen wäre da der Vortrag einer Tierärztin des Tiergesundheitsdienstes in Bayern mit dem Titel «Mehr Tierwohl für das Kalb – übertrieben oder überfällig?». Sie zeigte darin auf, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Bezug auf Tierschutz und Tierwohl in den letzten Jahrzehnten die auf Milchviehbetrieben geborenen Kälber weitgehend ignorierte. Nun endlich wird im neusten wissenschaftlichen Gutachten («Welfare of calves», 2023) zum Wohlergehen von Kälbern in landwirtschaftlichen Betrieben diesen Tieren reichlich Aufmerksamkeit zugestanden. Dies ist insbesondere deshalb relevant, da EFSA-Gutachten oft als Grundlage für neue Gesetzgebungen im Zusammenhang mit Tierwohl im europäischen Raum dienen. Als drei der wichtigsten Tierwohlprobleme wurden hier neben der frühen Trennung von Kuh und Kalb, auch die Einzelhaltung der Kälber sowie Hunger identifiziert. Dass tatsächlich Hunger ein wichtiges Tierwohlproblem in der europäischen Kälberhaltung darstellt, finde ich persönlich tragisch – um nicht zu sagen erbärmlich und ich bin aus eigener Erfahrung davon überzeugt, dass die Schweiz diesbezüglich sehr wohl zu Europa zählt. Es freut mich daher umso mehr, dass im neuen EFSA-Gutachten die restriktive Fütterung als veraltet und v.a. unzureichend bezeichnet wird. Es wird nun vielmehr aufgezeigt und offiziell anerkannt, wie gross der Einfluss von Tageszunahmen von 800-900g auf die Kälbergesundheit und auf die spätere Leistung einer Milchkuh ist. Das neueste EFSA-Gutachten und der Stand der Forschung legen dar, dass es in der Kälberaufzucht gängige Praktiken gibt, die mit momentanen Forderungen an das Tierwohl nicht vereinbar sind. Die momentanen Empfehlungen für die Tränkephase von Kälbern sieht daher nach der Kolostrumaufnahme eine mind. vier- bis fünfwöchige ad-libitum Tränke vor. Anschliessend sollte dann eine langsame, schrittweise Reduktion der Tränkemenge, bis zur Entwöhnung mit frühestens zwölf Wochen, erfolgen.

Als zweites möchte ich auf die Vorträge im Rahmen des Symposiums für Klauengesundheit eingehen, bei welchem neben Tierärzten auch Klauenpfleger als Zuhörer und Redner herzlich willkommen waren. Lahmheit stellt neben mangelnder Fruchtbarkeit und Eutergesundheit immer noch einen der häufigsten Abgangsgründe für Milchkühe dar. Wir wissen heute, dass der Grund für einen hohen Anteil lahmer Kühe in einer Herde weder eine hohe Erkrankungsrate noch eine extrem lange Ausheilungsdauer ist – sondern schlicht der Umstand, dass lahme Kühe nicht zeitnah behandelt werden. Dies erscheint umso einschneidender, als Lahmheiten in vielen Fällen verhindert werden könnten, da sie massgeblich durch Fütterung und Haltungsbedingungen beeinflusst werden könnten. Anders als bei anderen Abgangsursachen von Milchkühen ist für Lahmheit die Definition von Messgrössen enorm schwierig. Eine Lahmheit scheint also schwierig objektiv messbar zu sein. Daher beschäftigten sich diverse Vorträge mit dem Thema der digitalen Lahmheitserkennung. Grundsätzlich sind inzwischen Systeme verfügbar, die ähnlich gute Resultate liefern wie das geschulte menschliche Auge. Die Herausforderungen mit diesen Systemen liegen aber zum einen darin, dass die hinterlegten Algorithmen immer (nur) so gut sind, wie ihr menschlicher Programmierer, zum anderen dürfen digitale Systeme auch nicht zu empfindlich mit Alarm reagieren, da dies in ineffizienter Mehrarbeit für den Landwirt und schlussendlich in einem Nicht-Beachten des Alarms enden würde. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ideale Lösung diesbezüglich noch nicht gefunden ist, dass es sich aber lohnt, Tierhaltende theoretisch und praktisch zu schulen und ihnen aufzuzeigen, was eine lahme Kuh tatsächlich kostet (bzw. weniger einbringt) und was dagegen zu tun ist.

Im weiteren Verlauf des Symposiums machten ein Klauenpfleger und ein auf Klauengesundheit spezialisierter Tierarzt anschaulich deutlich, wie gross der Nutzen von regelmässigen Herdenschnitten ist, und dass neben der Fütterung auch der Zustand von Laufflächen und Liegeboxen einen grossen Einfluss auf die Klauengesundheit hat. Es ist daher unerlässlich, bei einer Häufung von Klauenproblemen, weitere Faktoren von Haltung und Fütterung in die Problemlösung miteinzubeziehen und sich nicht nur auf die Sanierung der betroffenen Klauen zu beschränken. Ein weiterer Vortrag befasste sich speziell mit der Auswirkung von hartem Boden auf die Klauengesundheit. Druck auf die Klaue stimuliert die Hornproduktion, stört die Wundheilung und führt zu chronischen Entzündungen des Klauenhorns und zu irreversiblen Knochenzubildungen am Klauenbein. Auf weichem Boden hingegen sind keine Druckspitzen an einzelnen Stellen messbar, der Druck wird also besser auf die gesamte Sohlenfläche verteilt, was entsprechend weniger Probleme hervorruft. Dies macht deutlich, wie gross der potenzielle Schaden ist, der durch Betonböden an den Klauen von Kühen – eigentlich Wiesen-Gänger – entstehen kann.

Mit einem Kopf voller Eindrücke, Fakten und Ideen bin ich wieder in die Schweiz zurückgekehrt und lebe nun mit der Hoffnung, möglichst viel Gelerntes umsetzen zu können.
 

Helen Huber
Tierärztin, Beraterin in der Bestandesbetreuung RGS

 

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